Täter-Opfer-Ausgleich
Neue Wege in der Justiz – Täter*in und Opfer finden Einigung
Wenn Täter*in und Opfer sich einig werden, gibt es kein Verfahren.
Nehmen wir einmal an, eine Straftat wurde begangen. Heutzutage geht man eigentlich davon aus, dass der/die Täter*in angeklagt wird und Justitia ein Urteil fällt. Der Konflikt zwischen dem/der Straftäter*in und seinem Opfer würde dadurch freilich nicht gelöst werden. Die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleiches (TOA) kommt immer mehr in das Bewusstsein der Öffentlichkeit als eine andere Möglichkeit, für Gerechtigkeit zu sorgen. Mit dem TOA wird der Konflikt nämlich tiefer gehend bereinigt. Der Staat hat zwar das Gewalt- und Strafmonopol inne, beim TOA gibt er aber einen Teil des Monopols zurück. Das Strafbedürfnis des Staates ist befriedigt, wenn Täter*in und Opfer zu einer Einigung gelangen, mit der beide zufrieden sind.
Im Landkreis Garmisch-Partenkirchen wird der TOA über eine Fachstelle des Caritas-Zentrums angeboten. Die Fälle werden dort von Diplom-Sozialpädagog*innen mit Zusatzausbildung als Mediator*in in Strafsachen (https://www.caritas-nah-am-naechsten.de/caritas-zentrum-garmisch-partenkirchen/cont/38657) bearbeitet.
Doch was ist der TOA? Treffen sich der Täter*in und das Opfer auf der berühmten Blutwiese, um ihre Streitigkeit Auge um Auge, Zahn um Zahn im Zweikampf zu bereinigen? Nein, vielmehr handelt es sich beim TOA um ein komplexes Verfahren, an dessen Höhepunkt die Beteiligten am "runden Tisch" zusammen kommen, um ein klärendes Gespräch zu führen.
Voraussetzung dafür, dass eine Straftat für den TOA in Frage kommt, sind drei Aspekte: Die Tat darf keine Bagatelle sein (Jurist*innen sprechen von einer "anklagefähigen Tat"). Zudem muss es einen persönlich Geschädigten geben und der Sachverhalt muss offensichtlich sein. Treffen diese drei Punkte zu, dann sendet die Staatsanwaltschaft die Akte an das Amt für Kinder, Jugend und Familie. Auch Richter*innen, Jugendgerichtshilfe, die Betroffenen selbst oder die Polizei können den TOA anregen.
Kommt es zu einer solchen Anfrage, nimmt die Caritas-Fachstelle zu den Betroffenen Kontakt auf. Zuerst gibt es Einzelgespräche mit dem/der Täter*in, dann mit dem Opfer. Schließlich kommt es zum Ausgleichsgespräch, in dem Täter*in und Opfer gemeinsam am gleichen Tisch sitzen, sich über den Vorfall unterhalten und eine Vereinbarung treffen. Darin wird festgelegt wie die beiden Parteien miteinander umgehen, wie Schäden evtl. durch Schmerzensgeld wieder gut gemacht werden etc. Im Rahmen des Gespräches entschuldigt sich der/die Täter*in auch beim Opfer. Die Ergebnisse des Schlichtungsgesprächs werden schriftlich festgehalten, von den Beteiligten und deren Eltern unterschrieben und an die Staatsanwaltschaft zurückgeleitet.
Der TOA ist übrigens in jeder Phase freiwillig, niemand wird zum Mitmachen gezwungen. Doch eines steht fest: Beide Parteien können vom TOA profitieren. Der Sinn des TOA und gleichzeitig auch die Chance, die darin verborgen liegt, ist die Gelegenheit für alle Beteiligten, hinter die Position des anderen zu schauen, sich in dessen Lage zu versetzen und Verhaltensweisen nachvollziehen zu können.
Eine Chance für beide Seiten
ein/e persönlich Geschädigte/r kann
• dem Täter die Folgen der Tat verdeutlichen,
• seine Gefühle von Verletzung, Ärger, Enttäuschung ausdrücken,
• eine schnelle Wiedergutmachung erreichen,
• Schadensersatz erhalten ohne Zivilprozess.
Der/die Täter*in kann
• zeigen und ausdrücken, dass er die Tat bedauert und dafür einsteht,
• zu erkennen geben, dass er die Empfindungen des Opfers ernst nimmt,
• durch aktive Wiedergutmachung die Angelegenheit in Ordnung bringen,
• Strafverfahren vermeiden, bzw. Strafminderung erreichen.
Was ist ein Täter-Opfer-Ausgleich
Täter-Opfer-Ausgleich ist der Versuch, die Folgen einer Straftat außergerichtlich zu regeln.
Dabei haben Täter und Opfer die Möglichkeit in direktem Kontakt den Konflikt fair zu lösen und eine schnelle Wiedergutmachung des verursachten Schadens zu erreichen.
Die Teilnahme am Täter-Opfer-Ausgleich ist für beide Seiten freiwillig.
Wann ist ein Täter-Opfer-Ausgleich möglich?
Geeignet für einen Täter-Opfer Ausgleich sind Straftaten, bei denen
- eine Person geschädigt wurde,
- der Täter diese Schädigung zugibt,
- beide Seiten bereit sind am Täter-Opfer-Ausgleich mitzuwirken,
- die Staatsanwaltschaft nicht ohnehin wegen geringer Schuld von der Anklage absehen würde.
Wie läuft ein Täter-Opfer-Ausgleich ab?
Zunächst können die Beteiligten in Einzelgesprächen dem Vermittler ihre Sichtweise der Tat und ihre Vorstellungen für eine erfolgreiche Konfliktregelung mitteilen.
Sind Geschädigter und Täter dann auch zu einem gemeinsamen Gesprächbereit, wird ein Termin vereinbart. Im Ausgleichsgespräch wird dann über den Vorfall, dessen Folgen und die persönliche Sichtweise (z. B. Belastungen und Ärgernisse des Geschädigten) gesprochen.Danach wird nach einer geeigneten Form der Wiedergutmachung gesucht.
Der Vermittler überprüft, ob die Vereinbarungen eingehalten werden.
Fallbeispiel
Die 17-jährige Auszubildende Tatjana (alle Namen geändert) ohrfeigt auf einer Party ihren 17-jährigen Freund Jochen, beschimpft und schubst die 15-jährige Schülerin Monika. Das Mädchen erleidet Platzwunden, ein blaues Auge und Prellungen. Ein typischer Fall für den Staatsanwalt, aber auch ein typischer Fall für den Täter-Opfer-Ausgleich, den es seit 1994 in Jugend- und Erwachsenenverfahren gibt. Wenn Täter und Opfer dabei einen Weg zum Frieden finden kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren ohne weitere Folge von Seiten der Justiz einstellen. Im Fallbeispiel mit der 17-jährigen Tatjana sind die Grundbedingungen für einen Täter-Opfer-Ausgleich gegeben; kein Bagatelldelikt, persönlich Geschädigter und klarer Sachverhalt. Jochen und Monika sind persönlich geschädigt worden.
Ein Jugendstrafprozess wegen Körperverletzung und Beleidigung hängt im Raum, ebenso ein Zivilprozess wegen Schmerzensgeld. Der/die Konfliktberater*in schreibt zunächst die Eltern der Beschuldigten Tatjana und sie selbst an und lädt zu einem Vorgespräch ein. Am besten ist eine Unterhaltung unter vier Augen mit den Jugendlichen. Nur wenn die Beteiligten es wollen, können auch die Eltern dabei sein.
Nach Aufklärung über den Ablauf und Sinn des Täter-Opfer-Ausgleichs schildert Tatjana die "Watschenparty" aus ihrer Sicht.
Auf das Fest hatte sie erst später kommen können, weil ihre Eltern einen Gasthof haben und ihre Mitarbeit notwendig gewesen war. Prompt überraschte die 17-Jährige ihren Freund beim Knutschen mit Monika. "Da bin ich ausgerastet", erzählte sie. Inzwischen schäme sie sich. Das ist ein entscheidender Schritt in dem Verfahren, der/die Täter*in übernimmt die Verantwortung. Das Vorgespräch geht weiter mit z.B. der Frage, wie Tatjana in der prekären Situation anders hätte reagieren können. Auch muss sie darüber nachdenken, was damals in Monika vorgegangen sein könnte. Die nächste Information gilt den drohenden Straf- und Zivilverfahren.
Auch nach ihren Vorstellungen zur Wiedergutmachung wird Tatjana "angehört". Der/die Konfliktberater*in erfährt, dass sich Tatjana einer Begegnung mit Monika stellen, sich entschuldigen möchte. Weiter ist sie bereit Schmerzensgeld zu leisten. Mit Freund Jochen hat sich die 17-Jährige schon ausgesprochen und wieder versöhnt. Der junge Mann hat gegenüber dem/der Konfliktberater*in telefonisch eingeräumt, die Ohrfeige verdient zu haben. Er wolle nicht, dass Tatjana dafür bestraft wird. Von seiner Seite aus und damit in der Regel auch für die Justiz, ist die Sache erledigt. Nur wenn es sich um schwere Verbrechen handelt, kann ein Strafverfahren nicht eingestellt werden.
Zurück zu den Partyvorfällen. Bei dem/der Konfliktberater*in meldet sich Monikas Mutter und will wissen, wer die total "mit Blut versauten Schuhe" ihrer Tochter ersetzt und: Das 15-Jährige Opfer sei grundsätzlich bereit, der Täterin gegenüberzusitzen.
Monika, mit dem/der Konfliktberater*in alleine, erzählt, dass sie an jenem Abend sehr betrunken gewesen sei. Die Ohrfeige habe sie ernüchtert. Alles sei voller Blut gewesen. Ihre Platzwunden hätten genäht werden müssen im Krankenhaus. Das ist nach den Worten des/der Konfliktberater*in eine wichtige Stelle beim Täter-Opfer-Ausgleich. Das Opfer soll sich ernst genommen fühlen.
Dann ist es endlich so weit: Monika will definitiv mit Tatjana reden - "damit die Sache für mich abgeschlossen ist." Der/die Konfliktberater*in sieht dies als Teil der Aufarbeitung an. "Hier kann ein Opfer aktiv werden. Im Gerichtssaal, beim Prozess, ist ein Opfer immer zur Passivität gezwungen." Nach reiflicher Überlegung wünscht sich Monika eine Entschuldigung ihrer Kontrahentin, 110 Euro für die kaputten Schuhe und ein Schmerzensgeld, sei sie doch wegen ihres Auges tagelang wie ein Zombie rumgelaufen.
Die Stunde der Begegnung kommt, die beiden Jugendlichen sitzen an einem Tisch - ohne Eltern. Nochmals wird der verhängnisvolle Tatablauf besprochen. Tatjana wird nervös, als Monika ihre Verletzungen beschreibt und entschuldigt sich spontan. Beide schildern ihre Gefühle. Damit tun sich Mädchen leichter als junge Männer. Buben wollen selten darüber reden, noch ihre Gefühle akzeptieren, berichtet der/die Konfliktberater*in. Haben Tatjana und Monika anfangs das Dreiergespräch, die Vermittlung des/der Konfliktberater*in gesucht, so ist plötzlich der direkte Dialog möglich.
Die beiden unterhalten sich über alles Mögliche, über Männer, über Treue, über vieles mehr. Sie finden Gemeinsamkeiten, wie "prügelnde Mädchen sind unmöglich", unterscheiden sich aber auch, z.B. Thema Treue.
Die Schadensregulierung steht anschließend an. Beim Geld versiegt das vorher rege Gespräch. Monika hat mitbekommen, dass Tatjana wenig Geld hat. Der/die Konfliktberater*in regt einen Kompromiss an. Die Jugendlichen einigen sich, dass die teuren Schuhe in zwei Raten von je 55 Euro bezahlt werden. Monika verzichtet ihrerseits auf Schmerzensgeld. Sie vereinbaren, wie sie künftig miteinander umgehen wollen: Sie werden miteinander reden und gemeinsam mal etwas trinken gehen.
Andere Jugendliche wollen sich eher aus dem Weg gehen. Auch das ist akzeptabel. Alle Ergebnisse des Schlichtungsgespräches werden schriftlich fixiert. Das Protokoll samt Abschlussbericht erhält die Staatsanwaltschaft oder dem/der Jugendrichter*in. Die Akte "Watschenparty" ist geschlossen. Justitias Eingreifen ist überflüssig geworden.
Das Verfahren Täter-Opfer-Ausgleich soll die Opfer stärken, nicht den Tätern die Sache erleichtern. Das Verfahren ist für alle Beteiligten völlig freiwillig.
Es ist eine Form der Konfliktbereinigung, die allen Beteiligten mehr bringt als nur Strafe. Nach einem Prozess ist die Aggression des/der Täter*in gegenüber dem Geschädigten noch vorhanden - noch dazu, wenn er beispielsweise zu zwei Tagen Arrest verurteilt wurde.
Mit dem Täter-Opfer-Ausgleich wird der Konflikt tiefer bereinigt, die Arbeit der Täter-Opfer-Ausgleich-Stelle ist deshalb für geeignete Fälle wichtig und wird dementsprechend von der Staatsanwaltschaft auch vermehrt in Anspruch genommen.